Letzte Woche sind Flo, Jannis und ich nach Den Haag gereist, um dort am Testevent für die Weltmeisterschaft 2023 teilzunehmen. Zu diesem Event durften nur ausgewählte Athleten reisen, von jeder Nation die besten zwei und zum Schluss wurden freie Plätze aufgefüllt, sodass beispielsweise die Französinnen in ihrer gewohnten Stärke mit 3 Athletinnen anreisten. Das Event in Den Haag ist deswegen so wichtig für uns, weil dort im nächsten Sommer die ISAF Weltmeisterschaft stattfinden wird. Bei dieser Weltmeisterschaft werden die ersten 8 Nationenplätze für die Olympischen Spiele ersegelt und erkitet. Selbstverständlich ist mein Ziel ganz klar, bei diesem Event das Nationenticket zu sichern, um mich danach voll auf die Vorbereitungen für Paris zu konzentrieren. Mein Sohn Levi blieb mit seinem Papa bei meiner Familie auf Baltrum im Sommerurlaub. Als ich die Insel verließ, musste ich mehrmals auf Parkplätzen anhalten, weil ich vor lauter Tränen die Fahrbahn nicht mehr sah. Ich muss ehrlich sagen, dass mich bisher noch kein Abschied so schwer getroffen hatte, wie dieser. Mein Herz zerreißt, dachte ich. Doch im Nachhinein betrachtet ging es hier natürlich vorrangig um mich, um die Mama, die ihr Kind nicht verlassen will. Sicherlich geht es nicht darum, dass Levi es besser hätte, wenn er bei mir wäre. Das würde ich mir natürlich gerne einreden, aber er liebt den Strand, das Meer und die Insel, er liebt seinen Papa und die ganze Familie, die es so genießen, mit ihm Zeit zu verbringen. Er liebt auch seine Mama (hoffe ich doch ;) ), aber die darf mal 5 Tage arbeiten gehen und dann schnell wiederkommen.  Und es gibt zum Glück Skype

Durch eine sehr regnerische Wetterlage gestaltete sich die Vorbereitung mit unserem Bundestrainer recht schwierig, da der Regen so stark war, dass die Kites nicht am Himmel geblieben wären. In meinem Van konnte ich mir die Zeit aber gut mit Abrechnungen und Organisation vertreiben, sodass ich am Abend noch zu einer schönen Trainingssession mit den zwei besten Britinnen kam. Leichtwind ist schon seither meine Stärke gewesen, doch der Swell und die Wassertemperatur der Nordsee lagen mir besonders gut. Das stellte sich in diesem Training schnell heraus. Wo ich auf dem Upwind noch mit etwas besserem Winkel zum Wind gewinnen konnte, war ich auf dem Downwind unschlagbar. Ich war ehrlich gesagt überrascht und suchte nach Ausreden. Die anderen haben bestimmt schlechtere Kites. Die haben heute bestimmt nicht 100 Prozent gegeben, … 

Am Abend vor dem ersten Race Tag las ich in dem neuen Buch von Laura Ludwig, Gold Medaillen Gewinnerin im Beach Volleyball und ebenfalls Mama. Ich war so inspiriert von ihrer mentalen Vorbereitung, dass ich unbedingt etwas davon in diesen bevorstehenden Wettkampf integrieren wollte. 

Die Bedingungen am ersten RaceTag waren sehr ähnlich zu unserer abendlichen Trainingssession. Ich war voll fokussiert, redete mir aber auch ein, dass dies nur ein Trainingswettkampf ist und ich nicht aufgeregt zu sein bräuchte und tatsächlich war die Aufregung viel niedriger als an vorherigen Wettkämpfen. Ein erster guter Start brachte mir den zweiten Platz an der Luvtonne, auf dem ersten Halbwind-Kurs überholte ich die Erste und baute die Führung über den nächsten Upwind und Downwind weiter aus. Im zweiten Rennen dasselbe noch einmal, im dritten führte ich von Anfang an und im vierten Rennen war ich dritte an der Luvtonne und überholte beide Konkurentinnen noch. Vier Rennen, vier Siege. In meinem ganzen Leben habe ich bisher zwar schon einige Halbfinal-Rennen gewonnen, jedoch erst ein einziges Fleet-Race. An diesem Tag waren es alle vier, ich konnte es kaum glauben. Wieder suchte ich nach Erklärungen. Die anderen sind nur zum Training hier, die wollen gar nicht gewinnen, die nehmen ihre alten Kites. Ich, nebenbei gesagt, habe auch meine alten Kites genommen, aber das blende ich dann einfach aus. 

Am zweiten Tag hatten wir wesentlich mehr Wind und mussten kleinere Kites nehmen. Ich wusste, dass dies von den Bedingungen nicht mehr meine Stärke sein würde, doch ich konnte 5, 3, 2 und einen Streicher (9) einfahren und war damit fast zufriedener, als am ersten Tag, da der stärkere Wind für mich so viel herausfordernder ist. Die Führung hatte ich immer noch inne mit 10 Punkten Abstand. 

An Tag drei verlor ich die Konzentration. Meine Starts waren in den ersten beiden Rennen sehr schlecht, mir blieb nur die Aufholjagd von hinten, die zumindest noch bis zum fünften Platz reichte. In Rennen 3 und 4 waren die Starts wesentlich besser, doch ein Crash an dritter Position brachte mir ein weiteres schlechtes Ergebnis ein, doch im letzten Rennen konnte ich nochmal zeigen, was ich kann und wurde nur um ein paar Meter hinter der Britin Ellie zweite. Den Gesamtsieg durfte ich an Ellie abgeben, aber mein erstes internationales Podium mit vier Rennsiegen schreibe ich mir hiermit hoffentlich hinter die Ohren :) 

Es hat ganz laut Klick gemacht. Zum ersten Mal in meiner Olympischen Karriere darf ich sagen: Ich will eine Medaille bei den Olympischen Spielen. Zum ersten Mal glaube ich, dass ich das schaffen kann. Es ist nicht mehr so, dass ich insgeheim hoffe, dass ich die Qualifikation schaffen werde. Wenn alles richtig gut läuft, kann ich auf einem internationalem Podium stehen, und das sogar schon heute. Wenn ich zurückblicke, wo ich heute vor einem Jahr stand und wieviel ich in diesem Jahr erreicht habe, dann darf ich gerne daran glauben, dass ich heute in einem Jahr noch viel mehr erreichen kann. Und dann bleibt ja immer noch ein weiteres Jahr bis zu den Spielen ;) Außerdem habe ich gelernt, dass ich auch mal zu einem Wettkampf fahren darf, ohne Levi mitzunehmen. Fast die gesamte Zeit im letzten Jahr ist er bei mir gewesen und hat mich bei Training und Wettkampf begleitet. Aber während der WM wird er bei meiner Mama bleiben. Im Anschluss daran wird es eine lange Mama-Kind Zeit für uns geben und das hilft mir über die Abschiede hinweg zu kommen. Da Levis Unterschenkel-Fehlbildung so selten ist (ca. 2 Geburten pro Jahr in Deutschland), gibt es hier keine Ärzte, die mit der Behandlung besonders vertraut sind und die komplizierte Operation mit hoher Sicherheit beherrschen. Daher werden Levi und ich Ende Oktober nach Florida zu einem Spezialisten reisen und dort 4 Monate in Behandlung sein. Meine Kitesachen reisen natürlich mit, aber wie die Behandlung, Schmerzen etc. dann aussehen, werden wir sehen und ich schaue ganz entspannt auf die Zeit. Die derzeit schnellste Kiterin wiegt 85kg, ich habe mich von 57kg im März schon auf 66kg gekämpft. Aber 4 Monate in Florida werden sicher keine verlorenen Zeit werden, selbst wenn ich es nicht viel aufs Wasser schaffen werde. Ich denke, Zunehmen und Amerika ergänzt sich ganz gut.

Gerade bin ich im Trainingslager in Tarifa mit einem neuen Technik-Coach, den mir der NRV ermöglicht. Danke für eure tolle Unterstützung! Um mal ein paar Zahlen zu nennen: Ich konnte innerhalb von 2 Tagen Training schon meine Amwind Geschwindigkeit von 20 Knoten auf 24 Knoten erhöhen. Heute habe ich mich leider verletzt und liege mit einem dicken Fuß, Arnika und Eis im Bett, aber ich hoffe, dass ich es morgen irgendwie wieder aufs Board schaffe. Einen Pause Tag kann ich schließlich mit Levi verbringen, der jetzt nicht bei mir ist, also wird hier weiter hart trainiert. Damit Mama dann in zwei Jahren eine Medaille nach Hause bringt. Hier noch ein paar Impressionen aus unserem Trainingslager in Marseille Anfang August: P.S. wenn ich mir die Bilder hier so ansehe, hab ich es doch sehr gerne, dass Levi mit mir reist. Falls jemand eine Nanny empfehlen kann, die nächstes Jahr mit uns auf Reisen gehen möchte, meldet euch gerne ;)