Foto: Zusammen mit seinem Vorschoter Will Ryan gewann Matthew Belcher 2021 vor Enoshima die Goldmedaille im 470er Foto: © Sailing Energy / World Sailing

Es wäre eine zu schöne Geschichte gewesen, wenn sich Matthew Belcher gemeinsam mit seiner Hamburger Frau Frederike (geb. Ziegelmayer) in der neuen Olympia-Klasse 470er Mixed versucht hätte. Schließlich spielt die Zweimannjolle eine große Rolle in ihrer beider Leben. Vielleicht hätten sie die neuen Möglichkeiten zum gemeinsamen Segeln auch ausgekostet, wenn sich diese früher ergeben hätten.

Aber im Alter von 40 Jahren hat Belcher nun einen logischen Schlussstrich unter eine unglaublich erfolgreiche Olympia-Karriere gezogen. Mit zweimal Gold, einmal Silber und acht WM-Titeln im 470er gehört er zu den erfolgreichsten Segelsportlern aller Zeiten. 2013 wurde er Weltsegler des Jahres. Der Australier muss niemandem mehr etwas beweisen – und schon gar nicht die Ehe bei einer herausfordernden Kampagne aufs Spiel setzen. Er hat nun einen standesgemäßen Abgang mit perfektem Timing gewählt.

Belcher, der über zwei Universitätsabschlüsse verfügt, verbindet als neuer CEO der australischen Segelbekleidungsmarke Zhik sein Know How über das intensive Jollensegeln mit einschlägigem Business-Wissen.

“Natürlich ist es schade, dass Mat nach 22 Jahren seine olympische Kampagne beendet”, sagt Ben Houston, Vorsitzender des australischen Segelverbandes Australian Sailing. “Wir sehen aber auch, dass er eine ausgezeichnete neue Richtung einschlägt. Mit seinem seglerischen Hintergrund, seinen Führungsqualitäten und seinem Kommunikationstalent wird er Zhik in dem sehr wettbewerbsstarken Umfeld erfolgreich weiterentwickeln.”

Die australische Segelbekleidungsmarke Zhik wurde vor den olympischen Spielen 2004 gegründet und hat neben technologischen Neuerungen auch die Optik der Sportbekleidung für Seglerinnen und Segler vor allem im Jollenbereich bereichert.

Es schien, dass Matthew Belcher seinen sportlichen Zenit vor den vergangenen Olympischen Spielen überschritten haben könnte. Schließlich bildete er mit Vorschoter Will Ryan (32), der auch schon auf 13 Jahre in der Bootsklasse 470er zurückblickte, eher eine Oldie-Crew. Und bei der EM 2021 in Vilamoura (POR) zeigte das Duo als Vierte eine ungewohnte Verwundbarkeit. Schon konnte man auch vermuten, dass die olympische Downunder-Flotte in der Corona-Krise besonders stark gelitten hat.

Mit dem Medalmaker im Rücken

Tatsächlich fehlte den starken Segelnationen Australien und Neuseeland wegen der strikten Lockdowns ganz besonders der internationale Vergleich, während sich die Europäer in Spanien und Portugal durchaus miteinander messen konnten. Der aktuelle Medaillenspiegel unterstrich schließlich dieses mögliche Problem. 2016 haben beiden Länder insgesamt noch acht Medaillen (jeweils vier) gesammelt. Diesmal waren es nur drei (AUS: 2x Gold, NZL 1x Silber)

Matthew Belcher wird nun CEO von Zhik Foto: Zhik

Aber Belcher/Ryan ließen sich schließlich nicht durch diese schiefe Ausgangslage beirren. Der Unterschied mochte der “Medalmaker” Victor Kovalenko an ihrer Seite, machen. Der gebürtige Ukrainer hat mit seinen 470er- Teams bei Olympischen Spielen unglaubliche elf Medaillen gewonnen, sieben davon glänzten goldig.

Auch diesmal machte er seine Männer-Crew auf den Punkt fit. Dabei ging es insbesondere darum, die Pump-Technik – erlaubt ab 8 Knoten, wenn Flagge O gesetzt wird – zu optimieren, die seit 2016 die 470er-Klasse dramatisch verändert hat. Besonders die jüngeren Teams wie Jordi Xammar und Nicolas Rodriguez Garcia-Paz aus Spanien schoben die Grenzen des physischen Segelns weit nach oben verschoben. Aber auch die Schweden Anton Dahlberg/Fredrik Bergstrom wussten die Möglichkeiten des massiven Rollens und Rockens zu nutzen. Sie wurden mit Bronze und Silber belohnt.

Mitglied im NRV

Belcher und Ryan konnten aber mit penibler Arbeit den Rückstand in einen Vorsprung verwandeln. Der Verlauf des Medalraces hat deutlich ihre neu gefundene Stärke bei Pump-Bedingungen gezeigt. Bei stärkerem Wind hilft ihnen dagegen neben der Erfahrung immer noch auch die perfekte Gewichtsverteilung. Der Steuermann ist 1,73 Meter klein und wiegt nur 62 Kilogramm. Ryan bringt dagegen im Trapez seinen langen Hebel von 1,93 Metern bei nur 75 Kilogramm ins Spiel. Bessere Maße für ein 470er Team gibt es kaum.

Aber der Steuermann ist eben auch eine segelnde Legende. Er startet sogar für einen deutschen Club, den Norddeutschen Regatta-Verein an der Alster und zeigt dem Hamburger Nachwuchs schon mal seine Medaillen (SR-Interview). Seine enge Beziehung nach Hamburg hat mit der Werft von Sebastian Ziegelmayer zu tun, die seit vielen Jahren die schnellsten 470er der Welt baut und die gesamte Weltspitze bedient.

Daraus entwickelten schließlich sich auch die privaten Bande. Seit mehr als 12 Jahren ist Belcher mit Friederike Ziegelmayer verheiratet, der 470er-Vorschoterin, die 2012 mit Kathrin Kadelbach in London bei Olympia an den Start ging. Das Paar lebt inzwischen mit vier Kindern im australischen Gold Coast. Das jüngste ist noch kein Jahr alt.

Belcher blieb in seiner Karriere überwiegend dem 470er treu, segelt aber auch schon mal in der Kielboot-Klasse Etchells, wo er 2018 die WM gewann. Einen großen Schritt wagte er im Jahr 2014 als er von einer australischen America’s Cup Kampagne zum Cup Skipper berufen wurde. Er verließ damit seine Komfortzone. Aber der Spuk war schnell wegen Geldmangels vorbei.

Matt Belcher erklärt seinen Schritt so: “Es war eine unglaublich schwierige Entscheidung. Ich war in den letzten 22 Jahren Mitglied australischen Olympia-Teams und ich habe mir die Entscheidung, dieses Kapitel abzuschließen, nicht leicht gemacht.

Ich hatte so viel Glück. Es war eine lange und lohnende Reise, aber ich bin jetzt 40 Jahre alt und habe eine junge Familie, so dass es für mich an der Zeit ist, in die nächste Phase meines Lebens zu beginnen.”

Belcher begann seine Karriere in der 470er-Klasse unter Kovalenko, gleich nachdem dieser Tom King und Mark Turnbull zu Gold bei den Olympischen Spielen in Sydney gecoacht hatte. Der Skipper musste warten, bis die Champs abtraten, um für 2012 die Chance zu bekommen, die australische Erfolgsgeschichte im 470er fortzusetzen. Mit Malcolm Page holte er in Weymouth die erhoffte Goldmedaille.

Vier Jahre später ging er mit Will Ryan an den Start, der sich inzwischen erfolgreich als Profi-Taktiker in verschiedenen Kielbootklassen engagiert. Er sagt zu seinem es Skipper: “Er war ein fantastisches Vorbild für den australischen Sport. Mat war ein harter Kämpfer, aber er hat immer geteilt und andere ermutigt. Er hat die Standards während seiner Zeit im Sport immer weiter nach oben geschraubt und mit Victor gezeigt, wie wichtig das Unterstützungsteam um dich herum ist, um Erfolg zu haben.”

Victor Kovalenko würdigt ihn ebenfalls: “Mathew ist der größte australische Olympia-Segler aller Zeiten. Wir alle werden es bedauern, dass er den olympischen Segelsport verlässt, aber wir sind sicher, dass Mathew dem Sport erhalten bleibt und in einigen seiner neuen Rollen weitere Erfolge für Australien bringen wird.”

(Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autoren)

Original: www.segelreporter.de